Was Leverkusens Fußballerfolge für Bayer bedeuten

„Die Werkself“

„Die Fußballmannschaft, die einen Weltkonzern wiederbeleben soll“, lautete die Überschrift eines „Spiegel“-Artikels Anfang Mai. Zwei Autoren analysieren in dem Beitrag die Bedeutung der sportlichen Erfolge von Bayer 04 Leverkusen für das Unternehmen Bayer und für die Stadt. Der zuvor häufig als „Vizekusen“ betitelte Werksklub stand zu diesem Zeitpunkt bereits als Deutscher Meister fest. Die Mannschaft hatte die Bundesliga dominiert und blieb ungeschlagen. Es bestand die Chance auf das Triple. Die Bayer-Elf verlor dann doch das Finale in der Europa League gegen Atalanta Bergamo, gewann aber zumindest noch den DFB-Pokal. Für Bayer Leverkusen bedeutete das Double eine historische Saison.

Anders als es der „Spiegel“ suggeriert, können die sportlichen Erfolge eines Fußballvereins natürlich nicht die Schwierigkeiten eines Weltkonzerns mit rund 50 Milliarden Euro Jahresumsatz und fast drei Milliarden Euro Verlust im Jahr 2023 vergessen machen. Rechtsstreitigkeiten in den USA bekommt Bayer trotz Strafzahlungen in Milliardenhöhe nicht abgeräumt. Der Chemie- und Pharmakonzern ist wegen eines möglichen Zusammenhangs von Krebsfällen mit Glyphosat in die Mühlen der amerikanischen Klageindustrie geraten. Patente von Medikamenten sind ausgelaufen. Der im April 2023 ins Amt gekommene Vorstandschef Bill Anderson will das Management verschlanken. Stellen sollen abgebaut werden. Bayer befindet sich in der Krise.


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Die Fußballer von Bayer Leverkusen hatten dafür in der abgelaufenen Saison umso mehr zu feiern, was auch auf den Bayer-Konzern positiv abstrahlt. Das Unternehmen erhält damit eine noch mal höhere Sichtbarkeit als in einer normalen Saison – in Deutschland, aber vor allem auch in wichtigen Zielmärkten wie Mexiko, Brasilien, Argentinien und in den USA.

Nordamerika gilt mit Blick auf die 2026 dort stattfindende Weltmeisterschaft und wegen der lukrativen TV-Vermarktung als Fußball-Wachstumsmarkt. Nicht erst seit dem Monsanto-Kauf sind die USA eine wichtige Region für Bayer. Den weltweiten Werbewert aufgrund der Präsenz in Medien und Social Media taxiert das Unternehmen auf einen guten dreistelligen Millionenbetrag.

Sichtbar im Logo

Bei keinem anderen Klub ist die Verbindung zwischen Unternehmen und Verein so eng wie in Leverkusen. Das markante Bayer-Kreuz ist in das Vereinslogo integriert. Das Stadion heißt BayArena. Wer zu den Heimspielen fährt, kommt fast zwangsläufig am Werk und an dem dort befindlichen Bayer-Kreuz vorbei. Das überstrahlt die Stadt seit etwa 90 Jahren. Sponsor auf dem Trikot ist Bayer allerdings nicht mehr. Der heißt seit 2016 Barmenia und ist ein Versicherungsunternehmen aus Wuppertal. „Wir erreichen bereits die maximale öffentliche Wahrnehmung über den Namen sowie die Markenpräsenz im Vereinslogo“, sagt Michael Preuss, Kommunikationschef bei Bayer.

Die Werbepräsenz rund um das Stadion wirkt nicht größer als die der Hauptsponsoren bei anderen Vereinen. Im mit 30.210 Personen ausverkauften Stadion flimmert am letzten Bundesligaspieltag lediglich der Schriftzug „Team Bayer ist stolz auf euch“ auf den Banden. Außerhalb der Arena finden sich große Plakate mit Bildern von Spielern und Schriftzügen wie „Mentalität unterm Kreuz“. Irgendwie ist in Leverkusen sowieso fast alles unter dem Kreuz.

Wie geht man als Unternehmen, das sich in einer Krise befindet, damit um, wenn der angegliederte Fußballverein dermaßen erfolgreich ist? Als Trittbrettfahrer daherkommen, der die sportlichen Erfolge ausschlachtet, will man ja auch nicht. Für Michael Preuss und sein Kommunikationsteam galt es also, sich über die sportlichen Erfolge der Fußballer zu freuen und sie kommunikativ zu begleiten, ohne aufdringlich zu wirken. Bei den Mitarbeitern wäre es wohl kaum gut angekommen, wenn sich plötzlich alles nur noch um Fußball dreht. Dafür ist die Lage des Unternehmens zu ernst.

„Kernthemen wie Innovation, Performance oder auch der Umbau des Unternehmens stehen ganz klar im Zentrum unserer Arbeit bei der Bayer AG“, betont denn auch Preuss. In seiner Abteilung werden zusätzlich Vereinsaktivitäten im Breiten-, Jugend- und Behindertensport in Leverkusen, Dormagen und Wuppertal koordiniert. Zudem ergeben sich immer wieder gemeinsame Projekte mit dem eigenständig aufgestellten Profifußball. Der Kommunikationschef hebt allerdings hervor, dass die Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens und die des Vereins grundsätzlich getrennt voneinander laufen. Bei Letzterer liegt der Fokus auf dem Sport. Strukturelle Überschneidungen gibt es. Preuss ist Mitglied des Gesellschafterausschusses. Die Bayer AG ist alleiniger Gesellschafter der Lizenzspielerabteilung.

Foto im Selfie-Format von Michael Preuss, dem Kommunikationschef von Bayer, im Fußballstadion.Hinter ihm jubeln und feiern Tausende Fans auf den Rängen und auf dem Rasen. (c) privat

Bayer-Kommunikationschef Michael Preuss ist regelmäßig im Stadion. Er ist zudem Mitglied des Gesellschafter­ausschusses von Bayer 04. © privat

Dass in dieser Saison einiges möglich sein könnte, habe Preuss nach dem 3:0-Sieg gegen Bayern München Ende Februar gemerkt. „Das war eine sehr souveräne Vorstellung.“ Richtig los ging es mit der Kommunikation zu den sportlichen Erfolgen aber erst wenige Wochen, bevor die Meisterschaft unter Dach und Fach war. Inhaltlich war es vor allem das Ziel, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bayer-Angestellten zu stärken – der Verein als verbindendes Element.

Auf einem gigantischen Plakat, das in Leverkusen an der viel befahrenen Bundesstraße B8 hängt, heißt es: „Das ganze Werk gratuliert“ – zur Meisterschaft. Auch gab es eine ganzseitige Anzeige in der Printausgabe von „Bild“. Für die Fans ließ Bayer einen Meisterschal produzieren und verschenkte ihn. In einem Social-Media-Video feuerten Mitarbeiter aus aller Welt die Mannschaft an. Zusätzlich ließ sich die gesamte Mannschaft unter dem Bayer-Kreuz nach dem Pokalsieg ablichten.

Für Aufmerksamkeit sorgte die Trikotübergabe von CEO Bill Anderson an Olaf Scholz auf einem Flug in der Kanzlermaschine nach China. Als die Stadt Leverkusen und deren SPD-Bürgermeister Uwe Richrath den ehemaligen Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden des Konzerns Werner Wenning, Klub-Chef Fernando Carro, Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes und Trainer Xabi Alonso zu Ehrenbürgern machen wollten, lehnten diese allerdings ab. Der Vorstoß des Bürgermeisters war zu voreilig.

Die sportliche Seite

Die Verantwortung für die Kommunikation von Bayer Leverkusen liegt seit 2019 in den Händen des ehemaligen Sportjournalisten Holger Tromp, der vorher unter anderem für die TSG 1899 Hoffenheim und für die ATP im Tennisbereich tätig war. Der 51-Jährige verantwortet die strategische Klub-Kommunikation, die internationalen Aktivitäten von Bayer 04 sowie die CEO-Kommunikation. Mit Preuss tauscht sich Tromp regelmäßig aus.

Viel dreht sich um die Begleitung der Spiele. Dazu gehören für Tromp und sein Team die klassische Medienarbeit national und international, das Akkreditierungsmanagement sowie die Steuerung von Schnittstellen wie die zum Marketing. Pressekonferenzen, Interviews, O-Töne und Hintergrundgespräche mit Journalisten sind Daily Business. Redaktionell bespielt der Verein mehr als 20 klubeigene Kanäle in vier Sprachen. Auf Facebook, X, Instagram, Tiktok und Youtube gibt es ein eigenes Storytelling.

„Gefühlt hat ganz Deutschland in dieser Saison interessiert, was Bayer 04 macht“, sagt Tromp. Doch war eben nicht nur in Deutschland das Medieninteresse groß, sondern auch im Ausland. Das US-Medium „Los Angeles Times“ zeichnete die Erfolgsstory der Werkself nach, genauso wie die „New York Times“ und das „Wall Street Journal“. Auch das Interesse in den lateinamerikanischen Märkten war immens. Tromp: „Die Anzahl der Anfragen zwingt uns auch in ‚normalen‘ Zeiten oft dazu, zu priorisieren und zu bündeln. In den vergangenen Monaten aber hat es ein Ausmaß angenommen, dass die Beantwortung zeitweise kaum mehr möglich war, weil wir uns jederzeit auch auf die Tagesaktualität vor Ort konzentrieren mussten.“

Die Leverkusener boten Potenzial für reichlich Geschichten. Zum Beispiel die des Vereins, der aufgrund zahlreicher zweiter Plätze „Vizekusen“ genannt wurde und dann ohne Saisonniederlage Deutscher Meister wurde. Mehrfach erzielte die Werkself wichtige Treffer erst in der Nachspielzeit. Es gab lediglich eine Niederlage: gegen Bergamo.

Trainer Xabi Alonso hat als Spieler zwar so gut wie alles gewonnen, aber als Coach war der 43-Jährige bei seiner Verpflichtung im Oktober 2022 ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Inzwischen ist er einer der begehrtesten Trainer der Welt. Kurz vor Saisonende verkündete Alonso, bei Bayer Leverkusen zu bleiben und nicht nach München oder zu anderen zahlungskräftigen Vereinen zu wechseln. Spieler wie der 21-jährige Florian Wirtz gehören zu den größten Talenten im europäischen Fußball.

Spielweise prägt Image

Die Spielweise von Bayer 04 ist seit jeher auf attraktiven Offensivfußball ausgerichtet. Das gehört zur Leverkusener DNA. Stars wie Rudi Völler, Michael Ballack, Ulf Kirsten, Lucio und Kai Havertz prägten den Verein.

„Der Verein hat schon immer danach gestrebt, sich über einen wiedererkennbaren Fußballstil zu differenzieren – über alle Mannschaften hinweg“, sagt Tromp. Das sei ein erfolgreiches Instrument, weil der Verein in der öffentlichen Wahrnehmung lange Zeit gegenüber Klubs wie Gladbach, Köln oder Schalke im Nachteil war, die von der Wucht ihrer Anhänger leben. „Wenn man sich die entsprechenden Kennzahlen der vergangenen Jahre anschaut wie Dauerkartenverkäufe, Stadionauslastung und TV-Quoten, dann hat sich hier eine gewaltige Entwicklung vollzogen.“ Bayer Leverkusen spielt seit 1979 ununterbrochen in der ersten Bundesliga. Der Begriff „Traditionsverein“ wird trotzdem meist für andere Klubs verwendet.

Zwei Männer im Gespräch: Links steht Holger Tromp, der die Kommunikation von Bayer Leverkusen leitet. Er spricht mit Simon Rolfes, Geschäftsführer Sport. Im Hintergrund ist ein Ausschnitt der leeren Stadiontribüne vor dunkelblauem und bewölkten Abendhimmel zu sehen. © privat

Holger Tromp (l.) leitet die Kommunikation von Bayer Leverkusen. Hier ist er im Gespräch mit Simon Rolfes, Geschäftsführer Sport. © privat

So ganz konnte der Verein seinen Ruf als Werksklub bisher nicht ablegen. Die Verbindung zum Bayer-Konzern sehen Nostalgiker als unfairen Wettbewerbsvorteil. Die Fan-Basis ist kleiner als zum Beispiel in Köln. Tromp sieht hier einen Wandel: „Der Begriff ‚Werkself‘ ist inzwischen zu einem positiv besetzten Differenzierungsmerkmal geworden“, sagt er. International steht der Name Bayer im Vordergrund. „Unser Ansatz in den letzten Jahren war es, verstärkt international zu denken. Wir haben über die Bayer AG fast überall auf der Welt Büros, was es uns leichter macht, die Marke auch international aufzubauen. Das hat uns bei der Organisation unserer PR-Reisen nach Mexiko und in die USA 2022 bereits sehr geholfen.“ Die Social-Media-Kanäle sind in der vergangenen Saison teilweise explosionsartig gewachsen – vor allem auch auf nationaler Ebene.

Erfolg als Team

Auch Wochen nach den Titelgewinnen hängen in Leverkusen immer noch Vereinsfahnen an den Balkonen. Bei den Feierlichkeiten zu Meisterschaft und Pokalsieg in und außerhalb des Stadions war gefühlt die komplette Stadt auf den Beinen. Die Werkself ist ein Sympathieträger für die Region geworden. Der englische „Guardian“ schrieb euphorisch: „This is what soccer should really be about.“ Die Erfolge würden zeigen, was sich als Gemeinschaft erreichen lässt. Plötzlich ist Bayer Leverkusen im Konzert der superreichen Klubs so etwas wie der sympathische Underdog.

Bayer-Kommunikationschef Preuss schaut eher auf die Wirkung für den Konzern. „Bayer Leverkusen ist ein Vorbild dafür, was sich als Team erreichen lässt“, sagt er. Über den Fußball sei durchaus ein neues Identifikationsgefühl unter den Mitarbeitenden entstanden – und das nicht nur an den nahe gelegenen Standorten Leverkusen und Monheim, an denen mehr als 8.000 der etwa 100.000 Beschäftigten tätig sind, sondern auch in den USA und an Standorten in Latein- und Südamerika.

Die Fans scheinen auch den Konzern ins Herz geschlossen zu haben. Gleich zweimal haben sie das Bayer-Kreuz in ihre Choreografien eingebunden – zuletzt beim Pokalfinale in Berlin.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Politik. Das Heft können Sie hier bestellen.

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