Das Ende der Neutralität

Interne Kommunikation

Haltungsfragen gibt es seit jeher. In den 1990er- und 2000er-Jahren ging es für Unternehmen und Organisationen vor allem darum, die Performance zu optimieren und Gewinn zu maximieren. Das hat sich geändert. Unternehmen müssen nun ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen. Dabei ist die Haltungsfrage inzwischen selbst zum Politikum geworden und beschäftigt die Medien und uns Kommunikator:innen in besonderem Maße. Anlässe, über die eigene Haltung nachzudenken, gab es zuletzt viele: die sogenannte Flüchtlingskrise 2015, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die daraus resultierende Energiekrise, der Diskurs um gendergerechte Sprache, die Demonstrationen für Vielfalt und Toleranz oder der Krieg in Israel und Gaza.

Einige Unternehmen gehen dabei so weit, dass aus einer Haltungsfrage oder der Teilnahme am gesellschaftspolitischen Diskurs eine Wahlempfehlung wird, siehe Reinhold Würth. Andere entscheiden sich für die Teilnahme an Kampagnen wie #Zusammenland oder Bündnissen wie „Wir stehen für Werte“ und ernten dafür Applaus – oder auch Kritik. Ist es eine unternehmerische Pflicht, sich für demokratische Werte, Vielfalt und Toleranz einzusetzen beziehungsweise sich dazu zu verhalten? Oder handeln Unternehmen schlicht opportunistisch? Stichwort Gratismut. Können sie sich im Sinne der Neutralität auch gegen Haltungskommunikation entscheiden?

Klar ist: Die bloße Teilnahme an einer Kampagne reicht nicht. Wer authentisch für Werte einstehen und sich an gesellschaftspolitischen Debatten beteiligen möchte, muss woanders anfangen. Die interne Kommunikation spielt im Umgang mit Haltungsfragen mindestens eine genauso große Rolle wie die externe. Ich behaupte: Die interne Kommunikation spielt die deutlich wichtigere Rolle.

Unternehmen und Organisationen, die sich der Thematik rund um Haltung nähern, müssen dies strukturiert und strategisch tun. Der erste und größte Fokus liegt dabei auf ihren wichtigsten Stakeholdern: den Mitarbeitenden. Erst danach sollten sie Überlegungen zu Formaten und Botschaften in der externen Kommunikation anstellen.

Fünf Thesen, wie die Haltungskommunikation im Spannungsfeld zwischen Gratismut, Übergriffigkeit und Belanglosigkeit gelingen kann:

1. Jedes Unternehmen hat eine Haltung, die systematisch intern herausgearbeitet werden muss.

Keine Haltung gibt es nicht. Niemand bewegt sich im luftleeren Raum, auch Unternehmen und Organisationen nicht. Denn auch Unternehmen und Organisationen müssen sich (früher oder später) zu externen Ereignissen, Debatten und Entwicklungen verhalten. Wer dann seine Haltung nicht kennt, hat ein Problem. Hierbei geht es beispielsweise um das Aufrechterhalten von Lieferantenbeziehungen oder die Schließung eines Produktionsstandorts im Ausland. Es geht um Entscheidungen wie die Förderung von Diversität im Betrieb oder darum, gendergerechte Sprache in eigenen Publikationen oder auf der Website zu verwenden.

Jede vermeintliche Enthaltung ist auch eine Entscheidung. Neutralität im engeren Sinne gibt es nicht (mehr). Daher ist es sinnvoll, sich genau damit strukturiert und systematisch intern zu beschäftigen: Wofür stehen wir? Was ist unsere Identität als Unternehmen und Arbeitgeber? Wie nehmen wir uns wahr und wie wollen wir wahrgenommen werden?

Oftmals muss man nicht bei null anfangen und es gibt schon einiges, womit man arbeiten kann. Was gibt das Leitbild her oder was steht in der Satzung? Gibt es eine ESG-Strategie? Wie steht es im Unternehmen um DEI-Prinzipien (Diversity, Equity and Inclusion)? Themen, um die eine Organisation heute sowieso nicht mehr herumkommt.

2. Haltungsthemen müssen nicht nur kommuniziert, sondern auch gelebt werden. Hier gilt wie so oft: intern vor extern.

Wenn Unternehmen oder Organisationen Haltung zu einem Thema beziehen und dazu kommunizieren, muss vorher bereits einiges passiert sein. Denn wer sich nach außen für etwas einsetzt, das intern nicht gelebt wird, macht sich unglaubwürdig. Als allererstes müssen also wieder unsere wichtigsten Stakeholder, die Mitarbeitenden, in den Blick genommen werden.

Ein Beispiel: Fördern wir als Unternehmen eine Kultur der Vielfalt und Offenheit? Gibt es echte Chancengleichheit bei Recruiting und Personalentwicklung? Und ganz grundsätzlich: Nutzen wir Austauschformate und verschiedene Resonanzräume, um die Bedürfnisse der Mitarbeiterschaft kennenzulernen und zu verstehen sowie den Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, sich mitzuteilen? Wer sich an Demonstrationen für Vielfalt und Toleranz, Bündnissen und Allianzen beteiligen und dabei authentisch sein möchte, sollte als Unternehmen diese Fragen bejahen können.

3. Die Führungsebene muss hinter Haltungsthemen stehen und sich persönlich engagieren.

Mit gutem Beispiel voran: Das C-Level muss bei Haltungsthemen sichtbar sein, sich persönlich am Diskurs beteiligen und Verantwortung übernehmen. Das kann in Form von Sonderrollen sein (beispielsweise eine Diversity-Beauftragte) oder über Meinungsbeiträge in internen Foren und Kanälen vermittelt werden.

Im Dialog mit den Mitarbeitenden und auch in der Art, wie und was Führungskräfte kommunizieren, kommen sie im Idealfall ihrer Vorbildfunktion nach. Damit stärken sie – vorausgesetzt die proklamierten Werte sind deckungsgleich mit denen im Kollegium – auch die Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrem Arbeitgeber. Und es erhöht die Chance, dass auch Mitarbeitende zum Sprachrohr und zu Multiplikator:innen für Botschaften des Unternehmens werden.

4. Einmal positioniert, muss die Kommunikation von Haltungsthemen konsequent sein.

Unternehmen und Organisationen müssen konsistent und konsequent in ihrer Kommunikation sein. Dies gilt umso mehr für Haltungsthemen. Wenn Haltungskommunikation eine Eintagsfliege bleibt, verpufft die Wirkung und kann sogar ins Gegenteil umschlagen: Glaubwürdigkeit (für das gesamte Unternehmen) geht verloren. Das kann die Reputation nicht unerheblich schädigen, umso mehr, wenn das C-Level nicht mitmacht und vorab kein interner Diskurs geführt wurde.

5. Nicht jede Haltung stößt bei Mitarbeitenden auf Gegenliebe. Muss sie auch nicht.

Egal wie vermeintlich homogen das Kollegium auch ist: Gerade bei Haltungsthemen scheiden sich oftmals die Geister. Wenn sich die Unternehmensführung beispielsweise zu Diversität bekennt, diesen Wert intern lebt und intern wie extern kommunizieren möchte, kann es zu Gegenwind kommen. Auch aus den eigenen Reihen. Doch mit dem Bekenntnis zu Diversität, um bei dem Beispiel zu bleiben, stellt sich ein Unternehmen und seine Führung demonstrativ hinter alle Mitarbeitenden. Und hier wiegt die Unterstützung von Minderheiten deutlich schwerer als die Rücksicht auf Einzelne, die sich gegen Diversität aussprechen und damit den Boden bereiten für Ausgrenzung und Intoleranz am Arbeitsplatz. Gerade bei einem solchen Thema kann eine Unternehmensführung also auch mal durchregieren.

Wer Haltung im Unternehmen sucht, wird zuallererst vor allem eins finden: Meinung. Ein offener Diskurs mit den Mitarbeitenden ist für Unternehmen und Organisationen, die öffentlich Position beziehen wollen, dennoch unerlässlich. Grundlage hierfür muss eine gut strukturierte Vorbereitung sein. Dieser Prozess zur Haltungsfindung ist mitunter nicht linear und er dauert. Aber er lohnt sich.

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