Wie KI bei der Krisenkommunikation helfen kann

Künstliche Intelligenz

Die Krisenkommunikation zählt zu den Disziplinen, die das meiste Fingerspitzengefühl erfordern. Die zunehmende Relevanz von künstlicher Intelligenz (KI) wirft die Frage auf: Kann KI in Extremsituationen wirklich das leisten, was menschliche Empathie und Intuition vermögen? Ohne KI wird es in Zukunft jedenfalls kaum noch möglich sein, effektiv auf Krisen zu reagieren – insbesondere wenn es darum geht, auf Basis unüberschaubarer Datenmengen strategisch kluge Entscheidungen zu treffen.

Mangelndes Vertrauen in KI

In der gegenwärtigen Krisenkommunikation zeigt sich eine deutliche Zurückhaltung gegenüber dem Einsatz von künstlicher Intelligenz. Das liegt vor allem an der Sorge, die Kontrolle über KI-generierte Inhalte zu verlieren. Eine aktuelle Studie zeigt, dass nur vier Prozent der Experten auf KI im Krisenmanagement vertrauen, wobei 51 Prozent die mangelnde Überprüfbarkeit als größte Sorge anführen. Doch die Datenmengen in Krisensituationen wachsen exponentiell, was menschliche Kommunikatoren zunehmend vor Herausforderungen stellt, zeitnah und angemessen zu reagieren.

Generative KIs auf Basis von Large Language Models eignen sich deshalb, um künftig einen Teil der Kontaktaufnahmen zu übernehmen. In der Ukraine passiert das schon heute. Erst kürzlich hat die Regierung einen KI-Avatar zur Pressesprecherin ernannt. „Victoria Shi“ übernimmt Öffentlichkeitsarbeit, die Kommunikation mit Journalisten – und Krisenkommunikation. Riskant? Vielleicht. Aber ein notwendiges Risiko. Denn Kiew spart so Ressourcen, die momentan andernorts gebraucht werden. Und: Auch wenn die KI spricht, spielen noch echte Menschen Souffleuse und geben Antworten vor.

Sie erheben zu Recht den Finger. Shi ist nicht viel mehr als ein Chatbot. Was der Fall dennoch zeigt: Mit der richtigen Datenbasis kann KI in Krisenfällen schon heute für eine erste Kontaktaufnahme durchaus sinnvoll sein und dabei helfen, Menschen zu entlasten. Gleichzeitig weist Shis Einsatz auf Gefahren hin, denn sie ist ein Ziel für Angriffe und Manipulationen durch Deep Fakes oder Hacking.

Monitoring- und Analyse-Tools

Trotz der Risiken ist die Entwicklung hin zu mehr generierten Botschaften nicht aufzuhalten. Nach Angaben von „PR Newswire“ wird der Markt für generative KI bis 2030 schätzungsweise 126 Milliarden US-Dollar wert sein.

Gleichzeitig bietet die sogenannte Predictive AI spannende Möglichkeiten: Durch die Analyse von großen Datenmengen können Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten von Krisen berechnet und klare Handlungsempfehlungen formuliert werden. Diese Technologien könnten strategische Entscheidungen auf eine breitere Datenbasis stellen und präzisere Vorhersagen ermöglichen.


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So erwarten wir den Einsatz von KI in der Krisenkommunikation weniger in Form von Avataren und Chatbots als in Form von Monitoring- und Analyse-Tools. KI kann bereits heute Stimmungen in Texten erkennen, stößt aber bei Ironie, Sarkasmus und kulturellen Nuancen an ihre Grenzen.

Eine Herausforderung ist auch, dass viele soziale Netzwerke geschlossene Systeme sind, die externen KI-Tools den Zugriff auf ihre Daten erschweren. Monitoring wird immer unvollständig sein, solange sich Plattformen nicht öffnen. Es ist daher dringend erforderlich, dass Social-Media-Giganten entweder externe Tools zulassen – oder besser: eigene KI-basierte Lösungen entwickeln.

KI-gestützte Krisensimulation

Unternehmen könnten eigene Korpusse aus Krisenfällen aufbauen und durch öffentlich zugängliche Informationen ergänzen. Langfristig könnte KI mithilfe dieser Daten als eine Art „Sandbox“ dienen, in der verschiedene Krisenszenarien simuliert und die effektivsten Reaktionsstrategien ausgewählt werden. Solche KI-gestützten Simulationsmodelle könnten dazu beitragen, die Rolle von KI von einem einfachen Monitoring-Tool zu einem unverzichtbaren strategischen Partner in der Krisenbewältigung weiterzuentwickeln.

Burghardt Tenderich, Professor an der Annenberg School for Communication and Journalismus der University of Southern California in Los Angeles, bringt in einem Artikel eine kollektive Datenbank ins Spiel. Gefüttert von tausenden Krisen-Cases aus aller Welt könnte ein Deep-Learning-Algorithmus Muster erkennen. Dieser könnte zur Früherkennung von Krisen beitragen, indem er Social-Media-Gespräche, Netnografiedaten, Nachrichtenberichte und sogar interne Unternehmensdaten analysiert, um wie ein Seismograf frühe Erschütterungen vor einer potenziellen Krise zu erkennen.

Auch wir halten es für sinnvoll, branchenübergreifende Kooperationen zu fördern, um anonymisierte Daten gemeinsam zu nutzen. Ein gemeinsamer Datenpool könnte die Erkennung globaler Krisentrends verbessern und eine effektivere Früherkennung ermöglichen.

KI als Unterstützung, nicht als Ersatz

Bei aller Euphorie über die technologischen Möglichkeiten darf eines nicht vergessen werden: die Gefahr der Dehumanisierung. Trotz ihrer Fähigkeit, menschliche Sprache zu imitieren und Krisenprozesse zu optimieren, darf KI nicht als Ersatz für den Menschen gesehen werden. Vertrauen und Respekt bleiben in Krisensituationen entscheidend – Menschen wollen in kritischen Momenten mit anderen Menschen sprechen, nicht mit Maschinen. Es ist unsere Verantwortung sicherzustellen, dass KI als Unterstützung und nicht als Ersatz für menschliche Kommunikatoren dient.

Die Entwicklung in Richtung generierter Botschaften wird sich nicht aufhalten lassen – bis 2025 könnten laut dem Marktforschungsinstitut Gartner bereits ein Drittel der Nachrichten von großen Marken KI-generiert sein. Aber es liegt an uns, die Balance zu wahren und KI verantwortungsvoll einzusetzen. Es geht darum, den menschlichen Aspekt nicht zu verlieren. Das ist nicht nur eine Sache des Respekts, sondern auch des Vertrauens.


Dieser Beitrag ist Teil der Themenreihe „How-to GenAI“, die sich mit dem Einsatz von generativer künstlicher Intelligenz in der Unternehmenskommunikation beschäftigt. Regelmäßig erscheinen an dieser Stelle Beiträge wechselnder Autor*innen zu theoretischen und praktischen Aspekten.

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