Voller Fokus auf das Hochwasser

Krisenkommunikation

Herr Lange, am Donnerstag, 16. Mai, warnte der Deutsche Wetterdienst vor Starkregen im Saarland. Wann wurde Ihnen klar, dass es eine Krisenlage geben wird?

Lange: Am Freitagmorgen kam erstmals der Koordinierungsstab im Innenministerium zusammen. Dazu gehören unter anderem Rettungs- und Einsatzkräfte, Bundeswehr und die Landkreise als Katastrophenschutzbehörden sowie mein Kollege Jörg Hektor, Sprecher des Innenministeriums. Der Innenminister hielt die Ministerpräsidentin und mich ständig auf dem Laufenden. Dass die Lage außergewöhnlich ist, wurde im Laufe des Vormittags klar, als die Saar schneller stieg als prognostiziert und auch eine Überschwemmung des St. Johanner Marktes in Saarbrücken nicht ausgeschlossen werden konnte.

Wie sahen die ersten kommunikativen Schritte aus?

Zuerst haben die Kommunen ihre Alarm- und Meldepläne perfekt umgesetzt. Bürgerinnen und Bürger wurden auf allen Kanälen gewarnt bis hin zu Lautsprecherwagen. Auf Landesebene war der Kollege aus dem Innenministerium stets im Lagezentrum. Meine Aufgabe war es, die gesamte Kommunikation der Landesregierung zu fokussieren, Vielstimmigkeit zu vermeiden und die Information der Bürgerinnen und Bürger zu koordinieren.

Am Freitagvormittag habe ich alle Ressortsprecherinnen und -sprecher über die Lage und meine Einschätzung informiert. Mir war klar, dass jetzt nicht die Zeit ist für Kommunikation abseits dieser drohenden Katastrophe. Jede andere Kommunikation haben wir gestoppt.

Im Verlauf des Freitags stiegen die Pegel stark an, Landkreise riefen Großschadenslagen aus, die Bevölkerung wurde teils evakuiert. Welche Zielgruppen sollten prioritär informiert werden?

Es galt, die Saarländer mit dringenden Informationen zu versorgen und vor den Gefahren der Starkregen- und dann Hochwassersituation zu warnen, etwa nicht in Tiefgaragen und Keller zu gehen. Wir haben aber nicht alle zehn Minuten kommuniziert, sondern priorisiert und im Wesentlichen über eine Themenseite auf unserer Website der Landesregierung saarland.de und Social Media.

Wir hielten zudem ständigen Kontakt mit den Medien. Die größten hier im Land sind die „Saarbrücker Zeitung“ und der Saarländische Rundfunk. Der SR berichtete die Nacht von Freitag auf Samstag durchgängig. Die Menschen erhielten so über das Radio stets aktuelle Informationen zur Lage. Die Ministerpräsidentin hat noch um ein Uhr nachts Interviews gegeben. Wir Sprecher waren an dem Wochenende rund um die Uhr im Einsatz.

Abgesehen vom SR – wie haben Sie sichergestellt, dass auch weniger digitalaffine Menschen informiert werden?

Man kann nur mit den Kanälen arbeiten, die eingespielt sind und Reichweite haben. Das war bei uns vor allem ein Facebook-Kanal mit rund 123.000 Followern. Das ist für ein Land mit einer Million Einwohner eine Menge. Die Kommunen haben auch direkt informiert, etwa mit Aushängen und Flugblättern. Sicher hat auch der saarländische Zusammenhalt geholfen, Informationen quasi über den Gartenzaun hinweg weiterzutragen.

Wie sah Ihre Arbeit konkret aus?

In der Staatskanzlei waren wir ein Team von circa 15 Personen um die Ministerpräsidentin und den Chef der Staatskanzlei. Wir Sprecherinnen und Sprecher sind in einer Signal-Gruppe organisiert. Neben dem akuten Krisenmanagement haben wir uns schon auf künftige Fragen vorbereitet. Als es zum Beispiel am Samstag noch darum ging, die Wassermassen zu bekämpfen, haben wir uns auch bereits mit der Frage beschäftigt, wie eine Förderrichtlinie für finanzielle Hilfen aussehen könnte.

Über das Antragsverfahren informierte einige Tage später die Ministerpräsidentin persönlich in einem Social-Media-Video. Warum?

Wir wollten zeigen, dass die Antragstellung simpel ist. Den Leuten stand der Kopf ja gerade ganz woanders. Das war eine Erfahrung aus der Coronapandemie, Anke Rehlinger war damals Wirtschaftsministerin und ich ihr Sprecher: Einfache Verfahren, schnell und verständlich erklärt, sind unglaublich wichtig. Und klare und seriöse Informationen.

Um unseriösen Informationen vorzubeugen.

Fake News sind in Krisen leider ein Thema. Es gab vereinzelt Gerüchte über Plünderungen evakuierter Häuser. Den Hinweisen sind wir in Telegram- und Facebook-Gruppen nachgegangen. Die Polizei stellte fest, dass es sich um Falschinformationen handelt, und klärte dann auf Social Media auf.

Am Samstag traten Ministerpräsidentin Rehlinger und Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Saarbrücker Ortsteil in Gummistiefeln vor die Presse. Wie kommt so etwas bei den Leuten an, die gerade Keller auspumpen und Schlamm wegschippen?

Ich finde es sehr wichtig, dass Politiker nicht nur in einem Krisenstab Verantwortung übernehmen. Wenn Führung vor Ort nicht präsent ist, bekommt sie nicht mit, wo Probleme sind. Hier im Saarland ist die Politik sehr nahbar. Die Ministerpräsidentin war an allen kritischen Orten – auch auf der Rußhütte in Saarbrücken. Bei ihrem Besuch dort am Abend zuvor war aus dem schüchternen Fischbach ein reißender Strom geworden, Häuser wurden evakuiert. Der Ort war praktisch menschenleer. Am Samstag war großes Anpacken angesagt. Die Leute haben die Ärmel hochgekrempelt und Keller ausgeräumt.

Man darf nicht unterschätzen, wie wichtig persönliche Wertschätzung und das Gefühl sind, als Bürgerin und Bürger durch die Ministerpräsidentin gesehen zu werden. Auch dafür ist so ein Besuch da. Mir ist das sehr bewusst geworden: Es darf keine Kommunikation stattfinden ohne Dank an Helferinnen und Helfer und Empathie für die Betroffenen. Leider hatten wir auch einen Todesfall im Saarland, und es darf niemals vorkommen, dass man darüber nicht spricht.

In der bundesweiten Berichterstattung kam das Hochwasser nur am Rande vor. Woran liegt das?

Ich finde ja, das Saarland kommt in der bundesweiten Berichterstattung grundsätzlich zu wenig vor. Vielleicht wurden die bundesweiten Auswirkungen als nicht so groß eingeschätzt. Der Besuch des Bundeskanzlers war daher ein wertvolles Signal.

Wann haben Sie gemerkt, dass sich die Lage aus Krisenkommunikationssicht entspannt?

Am Pfingstmontag haben mein Innen-Kollege und ich einen Pressehintergrund als schnelle Videoschalte gemacht und über neue Starkregenprognosen informiert. Das war eines der meistbesuchten Pressegespräche, die ich je gemacht habe.

Nachdem am Dienstag klar war, dass die Prognosen nicht eintreten, wussten wir, dass wir aus der Phase der ersten Gefahrenabwehr rauskommen. Für uns Kommunikatoren war es akut eine Zwei-Wochen-Krise. Aber viele Folgen werden uns lange beschäftigen.

Frau Rehlinger hat bereits den Ausbau des Hochwasserschutzes angekündigt. Doch es dürfte klar sein, dass es wieder Lagen geben wird. Was würden Sie nächstes Mal anders machen?

Es gibt immer etwas zu verbessern, das werten wir im Sprecherkreis noch aus. Wir mussten einmal eine Viertelstunde nach einer Handynummer suchen, das ist unnötig. Gut wäre auch ein etablierter Tiktok-Kanal gewesen, um gezielt eine weitere Altersgruppe anzusprechen. Aber klar ist auch: Pläne treffen immer auf die Realität. Ich selbst war am Freitag erst mal gar nicht vor Ort. Weil der Flieger ausfiel, saß ich über Nacht in einem Berliner Flughafenhotel und war erst Samstagmorgen zurück. Dann muss es halt von dort aus gehen. Es ist nicht alles planbar.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Politik. Das Heft können Sie hier bestellen.

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