Zurück in den Journalismus

Seitenwechsel

Mehr als zwei Jahrzehnte arbeitete Hans-Peter Siebenhaar beim „Handelsblatt“, als ihn die Anfrage erreichte, ob er nicht die Kommunikation eines österreichischen Energiekonzerns leiten wolle. Siebenhaar, zu jener Zeit Europa-Korrespondent in Brüssel, sagte zu und wechselte im Juni 2021 zu OMV. Doch schon im nächsten Frühjahr kehrte er auf die andere Seite des Schreibtisches zurück. Zunächst als freier Autor, ehe er im Dezember 2022 Chefautor und Mitglied der Chefredaktion des Wirtschaftsmagazins „Focus Money“ in München wurde. Warum das kurze Zwischenspiel? Hat die PR ihn enttäuscht?

„Meine Erwartungen an die Aufgabe, die mir gestellt wurde, hatten sich voll erfüllt“, sagt er am Telefon. Er habe das Unternehmen vorher gut gekannt. Die Energiebranche habe ihn gereizt. Die Unternehmenskommunikation fand er spannend. Der Job habe großen Spaß gemacht, bis unerwartet der Vorstand wechselte: „Der CEO, der mich eingestellt hatte, musste nach wenigen Monaten die Kommandobrücke verlassen. Und es kam ein CEO, den ich überhaupt nicht kannte.“ Es folgte das Angebot, die Österreich-Seite der „Süddeutschen Zeitung“ mitaufzubauen, und Siebenhaar, der ohnehin in Wien lebte, griff zu. Es sei keine Entscheidung gegen die Unternehmenskommunikation gewesen, betont er.

Wirtschaftlicher Druck

Wie Siebenhaar gibt es viele Medienschaffende, die die Seiten wechseln. Der wirtschaftliche Druck in den Redaktionen, fehlende Aufstiegschancen, ein sinkendes Gehaltsniveau – all das hat dazu geführt, dass immer mehr ausgebildete Journalisten nach Alternativen suchen. Gleichzeitig hat sich der Arbeitsmarkt rund um PR und Marketing ausdifferenziert. Neben dem klassischen Pressesprecherberuf bieten Corporate Publishing und Content Marketing vielen Journalist*innen eine neue Heimat. Einige jedoch zieht es wieder in ihren alten Beruf zurück.

Prominente Beispiele gibt es einige. Etwa Marc Brost, der frühere Politikchef der „Zeit“, der 2022 die Leitung der Stabsabteilung Politische Planung, Strategie und Reden im Bundespräsidialamt übernahm. Seit April dieses Jahres leitet er das Auslandsressort beim „Focus“, wo er auch der Chefredaktion angehört. Oder man denke an Béla Anda, den ehemaligen „Bild“-Redakteur, der erst Regierungssprecher unter Gerhard Schröder, dann Kommunikationschef eines Wirtschaftsunternehmens und anschließend Vize-Chefredakteur der „Bild“-Zeitung wurde. Heute leitet er eine eigene Kommunikationsberatung.

Dass frühere Journalist*innen bei ihrer Rückkehr aufsteigen, ist keinesfalls sicher. Die ökonomische Situation in den Redaktionen hat sich oft weiter verschärft. Dennoch schlägt bei manchen das Herz für den Journalismus höher, wie auch Attila Albert bei einigen seiner Klient*innen beobachtet. Der frühere Journalist begleitet Medienprofis bei ihrer beruflichen und persönlichen Neuorientierung. Man stelle fest, dass man gern wieder mehr schreiben und mehr rausgehen wolle, erläutert der Karrierecoach. Die Themen seien zu kompliziert in der Abstimmung. Es fehle das Gefühl, am Newsscreen zu sein. Man vermisse, nicht seine persönlichen Ansichten einbringen zu können. Gerade Corporate Communications mit üblicherweise langen Taktungen und Projekten, in denen viel reingeredet werde, sei für Journalisten eine Herausforderung. „Wenn wir eine Wochenzeitung wären“, so scherzte einst der damalige Kommunikationschef der Deutschen Bank und frühere „Welt“-Journalist Jörg Eigendorf, „würden wir einmal im Jahr eine Weihnachtsausgabe produzieren, die dann aber leider erst im neuen Jahr erscheint.“

Oder sie stellten fest, dass sie für die strategische Beratung nicht gemacht sind. So wie Martin Bialecki. Der 56-Jährige ist heute Chefredakteur der Fachzeitschrift „Internationale Politik“, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegeben wird. Bialecki ist ein dpa-Urgestein, hat bei der Agentur volontiert und stieg dort bis zum Leiter des Ressorts Politik Inland und des Hauptstadtbüros auf. Dann kam das Gefühl, es könnte „auch mal etwas anderes passieren“. Als 2009 das Angebot kam, Geschäftsführer einer Public-Affairs-Agentur zu werden, nahm er an.

Bialecki zog es weg vom Nachrichtengeschäft. Er wollte sein journalistisches Know-how, wie er sagt, zum Wohle von Plato, einer Scholz & Friends-Tochter, einbringen. Doch der Plan schlug fehl. „Ich war nicht erfolgreich, ganz ehrlich“, sagt er in einem Gespräch. Ein Jahr nach seinem Weggang kehrte er zur dpa zurück, Plato wurde im Jahr darauf aufgelöst. Wolfgang Büchner, zu jener Zeit neuer dpa-Chef und heute stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, holte ihn zurück und übertrug ihm die Leitung der fusionierten Inlands- und Auslandspolitik-Redaktion. „Entweder man ist Journalist oder man ist es eben nicht. Und dann bin ich lieber Ersteres“, sagt Bialecki.

Klare Rollenverteilung

Haben Rückkehrer ein Glaubwürdigkeitsproblem? Fragt man Hans-Peter Siebenhaar und Martin Bialecki, dann wird klar: Das hat viel mit persönlicher Integrität zu tun. „Wenn Sie als Sprecher fair, offen und transparent mit Journalisten umgehen, dann erleben Sie bei Ihrer Rückkehr keinen Glaubwürdigkeitsverlust“, sagt Siebenhaar. Er stellt fest: „Das Verhältnis zwischen Journalismus und PR hat sich professionalisiert.“ Jeder habe seine Rolle, die auch bei einem Wechsel klar sein müsse: der unabhängige Beobachter und Analyst auf der einen, der Auftragskommunikator auf der anderen Seite.

Auch Bialecki sieht im Rollenwechsel grundsätzlich kein Problem. Bei seiner Rückkehr zur dpa hätten die Kollegen keine Vorbehalte gehabt, sondern nur gefragt: Warum bist du überhaupt gegangen? „Das Bleiben und Verharren ist typisch deutsch: Etwas ausprobieren und dann, wenn es nicht klappt, etwas anderes probieren – das macht man hierzulande nicht“, meint Bialecki. Während seiner Zeit als US-Korrespondent in Washington hat er das Gegenteil beobachtet. In den USA gebe es eine größere Risikobereitschaft, Wechsel seien selbstverständlicher. Dort werde die Drehtür allerdings mitunter auch zu oft genutzt. Wenn zu häufig und scheinbar beliebig gewechselt werde, könne sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit schon stellen, findet er: „Da frage ich mich: Wofür steht dieser Mensch?“

2019 waren rund 15 Prozent der 32.000 Mitglieder beim Deutschen Journalisten-Verband hauptberuflich „Pressestellen-Journalisten“. Inzwischen dürfte ihr Anteil weiter gestiegen sein. „Journalist*innen in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sind auch Journalist*innen“, heißt es beim Berufsverband auf Anfrage. Bei einem Wechsel von der Pressestelle zurück in die Redaktion sollte aber darauf geachtet werden, dass „es so wenige inhaltliche Überschneidungen zwischen dem ehemaligen und dem neuen Job wie möglich gibt“. Der Pressesprecher des Bundeskanzlers sollte also nicht unbedingt Politikchef einer überregionalen Tageszeitung werden.

Die schon immer da gewesene Verflechtung von Medien und Politik wird seit jeher kritisch beäugt, umso mehr aber, wenn bekannte Medienschaffende zum Sprachrohr der Politik werden. Häufig fällt in diesem Zusammenhang der Name Steffen Seibert: Der „Heute-Journal“-Anchor wurde 2011 Sprecher der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Oder Ulrike Demmer, frühere Leiterin des Hauptstadtbüros des Redaktionsnetzwerks Deutschland und „Spiegel“-Journalistin, die 2016 zur Vize-Regierungssprecherin und im vergangenen Jahr zur Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg avancierte. Jüngstes Beispiel: Anna Engelke leitete das ARD-Hauptstadtstudio des NDR-Hörfunks, wechselte 2017 als Sprecherin von Frank-Walter Steinmeier ins Bundespräsidialamt und wird nun die Gemeinschaftsredaktion Radio im ARD-Hauptstadtstudio leiten.

Misstrauen in Medien

Wechseln bekannte Gesichter wie diese aus dem Journalismus in die Politik, könnte dies das Misstrauen in die Medien verstärken, warnt Uwe Krüger, der am Zentrum für Journalismus und Demokratie der Universität Leipzig zu Vertrauen in den Journalismus und zu journalistischer Ethik forscht. Er verweist auf die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen: Danach stimmten Ende 2023 43 Prozent der Befragten der Aussage voll oder teilweise zu, dass die etablierten Medien und die Politik Hand in Hand arbeiten würden, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren. 49 Prozent der Befragten fanden sogar, dass die Medien lediglich ein Sprachrohr der Mächtigen seien – in vorpandemischen Zeiten lag der Wert sogar noch höher.

Seitenwechsel hält der Wissenschaftler grundsätzlich für problematisch: „Das schwächt tendenziell den Journalismus und stärkt die PR.“ Auch wenn man wie im Fall von Steinmeier-Sprecherin Anna Engelke argumentieren könnte, dass sie ja für ein überparteiliches Amt gesprochen habe, so profitiere doch der neue Arbeitgeber von ihrem Wissen über die jeweiligen Strukturen und Abläufe sowie von ihren Kontakten. Dasselbe gelte auch für Wechsel in die Wirtschaft. Ist eine neutrale Berichterstattung sicher gegeben, wenn ein Journalist über einen künftigen oder potenziellen Arbeitgeber schreibt? Und wenn Investigativjournalisten quasi jederzeit die Kommunikation eines Unternehmens übernehmen können, was bedeutet das dann für potenzielle Whistleblower?

Freilich gelten neben der persönlichen Integrität für beide Berufsgruppen ethische Grundsätze, festgeschrieben im Presse- sowie Kommunikationskodex. In vielen Redaktionen wie etwa bei der dpa gibt es Kontrollmechanismen, Kodizes, mitunter notiert schon im Arbeitsvertrag, sowie ungeschriebene Gesetze, an die sich die Journalisten, auch die Rückkehrer, zu halten haben. Dazu gehört etwa, potenzielle Interessenkonflikte zu vermeiden. Für Siebenhaar heißt das, nicht über seinen früheren Arbeitgeber OMV zu schreiben. Bialecki meint, zwischen seiner Zeit bei Plato und der dpa habe es ohnehin keine Berührungspunkte gegeben. Eine zuverlässige Trennung der Rollen ist aber nicht garantiert. Als vertrauensfördernde Maßnahme sieht Krüger Transparenz: Journalisten sollten zu ihren Wechseln stehen und zeigen, dass sie ein Bewusstsein für die Effekte der verschiedenen Rollen haben.

Rückkehr realistisch sehen

Siebenhaar und Bialecki sind in den Journalismus zurückgekehrt. Ein Rückkehrrecht, wie es etwa Ulrike Demmer oder Anna Engelke hatten, gab es bei ihnen laut eigenen Angaben nicht. Beide waren nur kurz in der Kommunikation tätig, Bialecki hielt währenddessen Kontakt zu seinem früheren Arbeitgeber. Punkte, die auch Mediencoach Albert seinen wechselwilligen Klienten mitgibt. Er spricht von maximal drei Jahren, bevor es für einen Wechsel zurück zu spät sein könnte, weil man sich von den Themen und der sich ständig verändernden Arbeitsweise der Redaktion zu weit entferne.

Er empfiehlt, auf den Stellenmarkt zu schauen: Wer wird gesucht? „Auf keinen Fall die Idealvorstellung aus der eigenen Vergangenheit wiederfinden wollen“, rät der Coach. „Je flexibler jemand ist, umso mehr Optionen hat er.“ Hilfreich sei, wenn man Expertise zu einer Branche oder einem Thema erarbeitet habe, idealerweise während seiner Zeit in der PR. Punkten könne man oft auch jenseits der klassischen Redaktion, etwa im Bereich Corporate Publishing. Und das vielleicht Wichtigste: „sich nicht mit Reue aufhalten“. Jede Entscheidung habe einen guten Grund und werde erst einmal als Verbesserung empfunden, sonst würde man sie nicht treffen.

Für Martin Bialecki war der Zwischenschritt in die PR jedenfalls eine positive Erfahrung. Bialecki: „Ich habe diesen Schritt nie bereut. Ich habe viel gelernt und bin sehr dankbar für diese Einblicke. Es ist einfach nicht meine Branche; ich bin eben lieber ­Journalist.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Politik. Das Heft können Sie hier bestellen.

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